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Fünf Workshops rund um Informatik und Digitalisierung an der Sekundarschule Landsberg

Turing-Bus Station #9 am 25. Juni 2018 in der Sekundarschule „An der Doppelkapelle“ Landsberg (Sachsen-Anhalt) mit 60+ Schülerinnen (15-16 Jahre)

Turing-Bus in Landsberg Foto: CC-0

In Landsberg im Saalekreis im Süden Sachsen-Anhalts begann unser Turing-Bus am 25. Juni 2018 voll besetzt eine neue Woche. Mehr als 60 Schülerinnen und Schüler der drei neunten Klassen der Schule warteten auf uns. Sie hatten gerade ihr Berufspraktikum hinter sich. So rechneten wir damit, dass wir mit unserem Dauerbrennerthema »Arbeitswelten der Zukunft« also gut an ihre noch ganz frischen Erfahrungen in der aktuellen Arbeitswelt anknüpfen könnten.

Turing-Bus in Landsberg Foto: CC-0

Nachdem Rainer Rehak in der Aula mit einem Kurzvortrag in aktuelle Problemlagen der digitalisierten Gesellschaft eingeführt hatte, konnten sich die Schülerinnen und Schüler einen der Workshops aussuchen. Für die zweitgrößte Station mit mehr als 60 Schüler*innen hatten wir uns besonders ins Zeug gelegt und eine breite Auswahl an Modulen im Gepäck. Besonders hervorzuheben waren hier die Automatisierungsmindmap von Juliane Krüger (OKF DE) und das Robotergericht von Rainer Rehak (FIFF), bei denen ethische Fragen der Informatik behandelt wurden.

Das digitale Flugblatt

Etwa zehn Leute waren diesmal beim digitalen Flugblatt dabei. Erfreulicherweise in der Mehrheit Mädchen. Zum Einstieg unterhielten wir uns über ihre Erfahrungen im Betriebspraktikum, die unter anderem in Baumärkten, Bäckern, Kindertagesstätten oder Pflegeeinrichtungen absolviert worden waren – recht konventionelle Berufsumfelder. Bemerkenswert war das Praktikum einer Schülerin bei einem Live-Escape-Game-Anbieter in Halle.

Die durch Point-and-Click-Adventure-Games inspirierten Teamspiele, bei denen es darum geht, sich durch das Lösen von Rätseln aus einem verschlossenen Raum zu befreien, sind in den letzten zehn Jahren zunehmend in Mode gekommen. Die Berührungspunkte mit einer durch und durch digitalisierten Arbeitswelt der Zukunft waren ansonsten gering gewesen; auch im Schulalltag gab es keine nennenswerte Ausbildung oder Vorbereitung im Bereich Informatik. Für uns inzwischen keine Neuigkeit mehr. So sehr die Schülerinnen und Schüler vor allem mit ihren Smartphones täglich im Netz mehrere Stunden verschiedene Sozialen Medien intensiv nutzen, so wenig wissen sie konkret über die Technik, die dahinter steckt – insbesondere an Schulen ohne Abitur, wie es auch diese Schule eine war.

Also führten wir erneut mit unserem Exkurs zur technischen Funktionsweise des Internets und einigen Grundbegriffen der Netzwerktechnik (TCP/IP, DNS, URL, Hypertext, …) in das Gebiet ein. Danach ging es weiter mit der Gestaltung der digitalen Flugblätter zu selbstgewählten Themen aus Schul- und Lebensalltag der Schülerinnen und Schüler.

Turing-Bus in Landsberg Foto: CC-0

Datenschutz Dungeons & Dragons (Rollenspiel)

Etwas besonderes war diesmal der Datenschutz-Dungeons-and-Dragons-Workshop. Wir haben den Workshopleiter, Stefan Ullrich, dazu interviewt:

Auf die Turing-Bus-Station am 25. Juni 2018 in der Sekundarschule „An der Doppelkappelle“ in Landsberg hattest du ein besonderes Workshop-Format mitgebracht: ein Datenschutz-Dungeons-and-Dragons. Was darf mensch sich darunter vorstellen und woher hast du die Idee?

Datenschutz, Dungeons, and Dragons spielt auf den Rollenspielklassiker Dungeons and Dragons an, wo Spieler*innen mit Hilfe von Bleistift, Papier und eine*r Spielleiter*in in eine Phantasiewelt eintauchen und Abenteuer bestehen. Die Idee dazu bekam ich von einer HTW-Studentin und FIfF-Aktivistin, die in einem Datenschutz-Seminar dazu einen Vortrag hielt.

Wir haben in Landsberg mit sieben engagierten Schüler*innen die abstrakten Konzepte Datensicherheit und Datenschutz in eine Spielwelt übersetzt. Wir nutzten dabei aus, dass wir alle in der uns umgebenden Welt sehr gute Vorstellungen über Sicherheit besitzen (die nicht alle korrekt sein müssen), jedoch nicht in der Digitalwelt.

Für das Spiel bildeten wir zwei Gruppen, Angreifer*innen und Verteidiger*innen. Das verteidigende Team sollte nun ein Gebäude auf Papier entwerfen, das in einem Raum einen wertvollen Diamanten verwahren sollte, geschützt vor Diebstahl und Zerstörung. Die einzige Vorgabe war, dass sich die Wächter*innen an Recht und Gesetz halten müssen und selbst auch an den Diamanten kommen sollten. Die Angreifer*innen hingegen durften rauben und täuschen, um an den begehrten Schatz zu kommen. Danach tauschten sie die Rollen.

Datenschutz, Dungeons, and Dragons besteht aus drei Phasen: In der Vorbereitungsphase entwirft das verteidigende Team ein Gebäude mit all den Sicherheitssystemen, die wir aus der analogen Welt kennen. Schlösser, Kombinationscodes, Stacheldraht, Burggraben, Elektrozaun, Überwachungskameras, Wachhunde (und eine besonders vigilante Wachgans), Laserkanonen (die als Blendwaffen allerdings nicht legal und daher nicht zugelassen waren) und dergleichen mehr.

In der Aktionsphase nun beschreibt die Spielleiter*in die Szene: »Ihr befindet euch am Rande eines Waldes, in dem ihr euch verborgen hattet. Auf der weiten Wiese vor euch erhebt sich ein massives Gebäude, in dem ihr den Diamanten vermutet. Was tut ihr?« Nach dieser Aufforderung beschreiben nun die Angreifer, wie sie mit Hilfe von Leitern, Bolzenschneidern, Betäubungsmittel, Panzerfäusten, Nachtsichtgeräten und dergleichen mehr an den begehrten Schatz kommen wollen. Die Verteidiger*innen haben im Vorfeld Gegenmaßnahmen entworfen, die nun zur Anwendung kommen.

In der letzten Phase des Spiels werden die spielerischen Aktionen ins Digitale Übersetzt. Ein Schlüssel kann kopiert werden, ein Fingerabdruck ebenso. Eine Kombination kann erraten, ein Passwort geknackt werden. Vielleicht ist nur der äußerste Rand des Gebäudes geschützt, im Inneren ist aber alles zugänglich? Sind die Sicherheitsmaßnahmen von einer Geheimhaltung abhängig?

Kurzum, in vielen unsicheren Computersystemen kann das ähnlich sein, einmal im firmeneigenen Netz eingedrungen, gibt es weit weniger Sicherheitsmechanismen, das Prinzip Security by Obscurity, also Sicherheit durch Geheimhaltung, ist ebenfalls sehr beliebt.*

Wie kam der Workshop bei den Schülern an?

Die Schüler*innen haben sehr gut mitgemacht, es hat allen großen Spaß gemacht. Sie haben fundamentale Konzepte der Datensicherheit kennengelernt, etwa Sicherheit durch Besitz, Sicherheit durch Wissen, Sicherheit durch Identifikation und so weiter. Sie haben selbst herausgearbeitet, dass Sicherheit vor allem vom Budget abhängt. Und von der Phantasie, sowohl auf Seiten der Angreifer*innen wie auch der Verteidiger*innen.

Den Datenschutzaspekt haben wir nur in Hinblick auf die Sicherheit thematisiert, also wie man mit Hilfe von Geburtsdatum und persönlichen Photos sich die Identität einer Wächter*in besorgen kann, um die biometrischen Systeme zu überlisten oder gängige Passwortkombinationen zu erraten. Es fehlte uns leider am Ende die Zeit, um noch andere Aspekte des Datenschutzes oder der Privatheit durchzuspielen. Das machen wir dann das nächste Mal.

„Die Automatisierungsmindmap“ und „Das Robotergericht“

Turing-Bus in Landsberg Foto: Das Robotergericht - CC-0

Auch in den zwei Workshops von Juliane Krüger von der Open Knowledge Foundation und Rainer Rehak vom Forum für InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung ging es weniger um Technikbastelei, sondern eher um die theoretische und diskursive Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung mit Hilfe literarischer All-Time Classics. Von vorgelesenen Ausschnitten aus Weizenbaums Klassiker »Macht der Computer und Ohnmacht« aus dem Jahre 1978 inspiriert, erstellten die Schülerinnen und Schüler eine Mindmap zur Automatisierung. Die Asimov’schen Robotergesetze von 1942 nutzten sie für einen gespielten Gerichtsprozess, der den fiktiven Fall eines Arbeiters behandelt, der seinen Job an eine Roboter verloren hat. Roboter und Arbeiter müssen hierbei nun vor Gericht argumentieren, ob das rechtmäßig ist oder nicht und wie der Fall zu einem gerechten Ausgleich geführt werden könnte.

Kreativ am Arduino-Board mit Mobilem Schülerlabor und FabLab Cottbus

Turing-Bus in Landsberg Foto: CC-0

Turing-Bus in Landsberg Foto: CC-0

Ganz praktisch orientiert waren hingegen die schon in Cottbus und Bernau bewährten Workshops von Maximilian Voigt vom FabLab Cottbus, das Digitale Haustier, bzw. von Sven Kallet vom Mobilen Schülerlabor der BTU Cottbus-Senftenberg, Informatik Enlightened. Beide Workshopleiter ermöglichten den Teilnehmenden hohen kreativen Freiraum, indem sie von Beginn an einräumen, dass die Pausen und die Arbeitsgeschwindigkeit frei eingeteilt werden können und vorgegebene Bau- und Programmieraufgaben lediglich eine Orientierung bieten, Abweichungen und eigene Ideen gewünscht sind. Diese Form eines sehr selbständigen Arbeitens schien den Schüler*innen hier wenig vertraut, und so mussten einige kleinschrittig permanent neu motiviert werden, um im Zusammenbau der digitalen Katze, dem Zusammensetzen einer einfachen Schaltung für eine blinkende LED und deren Ansteuerung wenigstens kleine Erfolgserlebnisse zu haben.

»Wenn der Roboter Profit bringt, muss dieses Geld von der Politik an die Arbeiter verteilt werden.« (Schüler der Sekundarschule Landsberg)

Zur Abrundung des Tages luden wir alle Schülerinnen und Schüler nochmal zu einer Podiumsdiskussion über Mündigsein in den digitalisierten Arbeitswelten der Zukunft in die Aula ein, die Stefan Ullrich moderierte. Geladen hatten wir den Stadtratsvorsitzenden Landsberg Dr. Jurik Müller, der als naturwissenschaftlich ausgebildeter Diplom-Meteorologe sowohl aus kommunal- als auch aus wissenschaftspolitischer Perspektive die nötigen infrastrukturell Anforderungen für den Wandel der Arbeitswelt beurteilen konnte. Außerdem gesellte sich der Informatiker und Philosoph Rainer Rehak vom FIfF zur Diskussion. Jurik Müller wählte Wetterbeobachtung als Beispiel, wie mit der Optimierung ein Verlust von scheinbar Nebensächlichen einhergeht: »Was nicht in das Beobachtungsschema passt, wird nicht wahrgenommen. Menschen schreiben die Sichtung von Regenbogen auf, auch wenn die Aufgabe Wolkenklassifikation ist, Maschinen nicht.« Der Informatiker und Philosoph Rainer Rehak betonte, dass der Mensch viel besser in Ausnahmesituationen handeln könne, weil er nicht an die Gesetze des Systems gebunden sei. Er äußerte jedoch auch die Befürchtung, dass die Systeme den Menschen immer stärker gängeln und Handlungsspielräume einschränken werden.

Turing-Bus in Landsberg Foto: CC-0

»Was nicht in das Beobachtungsschema passt, wird nicht wahrgenommen. Menschen schreiben die Sichtung von Regenbogen auf, auch wenn die Aufgabe Wolkenklassifikation ist, Maschinen nicht.« (Dr. Jurik Müller, Stadtratsvorsitzender/Meteorologe)

Die Jugendlichen hielten sich stark zurück in der Diskussion. Einer der Schüler sah die gegenwärtige Entwicklung hin zur Automatisierung für unabwendbar, nun sei die Politik gefragt: »Wenn der Roboter Profit bringt, muss dieses Geld von der Politik an die Arbeiter verteilt werden.« Der Breitbandausbau sowie der Abbau des Schulfachs Informatik in Sachsen-Anhalt wurden ebenfalls vor allem seitens eines sehr aufgebrachten Lehrers thematisiert, der den ganzen Tag erfolglos versucht hatte, einen Internet-Zugang über WLAN für unsere Workshops einzurichten. Dass die Schule es mal nicht eben so einfach ermöglichen konnte, uns einen Gast-Internetzugang zu ermöglichen, war für ihn Ausdruck der desolaten Ausstattungssituation im technischen Bereich. Auch das erlebten wir tatsächlich nicht zum ersten Mal.

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